Die großen Schriftkünstler.

Jeder Drucker war zugleich auch Schriftgießer und Schriftsetzer. Die Zahl der Druckereien stieg ständig. Vor allem bildeten sich in den einzelnen Ländern schon Druckzentren mit bedeutenden Betrieben. Im Mittelpunkt stand Frankfurt a. M., wo die Büchermessen abgehalten wurden. Hier entstand auch die erste Schriftgießerei, die von dem Stempelschneider Jakob Sabon betrieben wurde, der aus Lyon stammte.

Auch Köln und Straßburg gehörten zu den bedeutenden Druckstädten. Der Mittelpunkt des französischen Buchgewerbes war Paris, während Lyon in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts in der Bedeutung als Druckstadt zurückging. Venedig, Rom und Florenz waren in Italien führende Druckorte. In Venedig wurde 1554 das Schriftlehrbuch des Minoritenfraters Vespasiano Amphiareo aus Ferrara gedruckt. Während in Deutschland der Dreißigjährige Krieg tobte und zur Zerstörung und Stillegung vieler Druckereien geführt hatte, wurde 1640 in Paris durch Kardinal Richelieu die Königliche Druckerei gegründet. 1692 befahl Ludwig XIV., für die Druckerei einen neue Schrift zu schneiden. Dadurch wurde die ganze Akademie stark angeregt, und es bildete sich eine Schule von Stempelschneidern, welche zur Blüte der französischen Schriftkunst des 18. Jahrhunderts führte.

Die Schriften Fourniers aus dieser Zeit spiegeln den Rokokogeist wider, während die späteren Schnitte Henri Didots eine mehr klarheitbetonte Vollkommenheit klassizistischer Kunst zeigen.

Ein berühmter Rivale erwächst den Franzosen in Giambattista Bodoni, welcher in Parma 1767 als ein Meister des neuen schmucklosen Stils „klassizistisch“ schafft.

Desgleichen wirkt in Deutschland Johann Friedrich Gottlieb Unger, der Schöpfer einer Frakturschrift. Im 18. Jahrhundert wurde Frankfurt a. M. von Leipzig als Verlagsort und später auch als Druckstadt überflügelt. In England begann in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts die Druckerei in Oxford zu einem geachteten Ort des Buchdrucks zu werden. William Caslon begann 1720 hier seine Tätigkeit als Stempelschneider. Er und auch John Baskerville und William Martin gehören zu den Wegbereitern der englischen Schriftkunst.

Der Ausklang des Barocks steht unter dem Vorzeichen der kommenden Französischen Revolution. Man erinnert sich wieder der strengeren Formen der griechischen und römischen Antike. Der Empirestil unter Napoleon ist der Ausdruck dafür, und die Typographie Didots und Bodonis, schlicht, in reinem Typosatz, verkörpert diese Zeit.

Doch bald werden die Formen behäbiger, biedermeierlich, um immer mehr zu verflachen. Es fehlt an handwerklicher, selbstschöpferischer Tradition. Alte Stile werden nachgeahmt, meist schlecht. Doch es gibt immer wieder Buchdrucker, die sich nur von Qualität leiten lassen und die Kunst der Typen hochhalten. Jules Guillaume Fick aus Genf ist ein solcher. Auch der Engländer William Morris hat die Buchkunst in der gefährdeten Zeit auf ein hohes Niveau zurückgeführt. In den Drucken seiner Kelmscott Press lehnt er sich wieder an die Werke der Inkunabelzeit an und übt einen guten Einfluss auf die ganze europäische Buchkultur aus.

In den vierziger bis sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts war in der Schweiz das Durcheinandermischen von Schriften beim Titelsatz aktuell. Diese Methode der Satzgestaltung führte zu einer unschöpferischen, dekadenten Typographie, die wirklichen Niedergang bedeutete. 1858 schlossen sich Typographen zusammen, es wurden eine Reihe guter Fachzeitschriften gegründet. Die Auswüchse der freien Richtung wichen bald einem typographischen Neubeginn.

Der Jugendstil verkörperte diese Strömung. Schrift- und Schmuckelemente ohne Anlehnung an das Alte beeinflussten die typographische Formung. Nicht zu vergessen ist die bekannte Schriftkünstlerin Anna Simons, die bei dem großen englischen Lehrer und Schriftkünstler Edward Johnston ihre schriftkünstlerische Vervollkommnung erhielt. Die gleiche Bedeutung wie Johnston haben auch die Engländer Updike, Rogers, Eric Gill und Stanley Morison und der Amerikaner Goudy. Morison schuf 1923 die bekannten Lettern der Times New Roman, und Eric Gill zeichnete die prächtigen Schriftlettern der Perpetua.

Unter den neueren Schriftkünstlern sind noch die beiden Holländer Jan van Krimpen und S. H. de Roos zu nennen. Ersterer schuf 1924 die Lutetia, 1928 die Romanée, 1930 die Antigone und 1932 die Romulus. De Roos ist Schöpfer der Egmont und der klassisch schön geformten De Roos Lettern. Diese Schriften strahlen einen neuen Geist in der Typographie aus. Das kann man auch von den Schriften sagen, die Imre Reiner, Renner, Schneidler, Trump, Herbert Post, Menhart und Hermann Zapf schufen. Auch die Diethelm-Antiqua ist in diesem Sinne zu beachten.

Einer der wichtigsten Schriftbearbeiter in der Schweiz war der Stempelschneider E. Thiele, der viele Jahrzehnte in unermüdlicher Feinarbeit die neuen Matrizen der Haas’schen Schriftgießerei schnitt. Der bekannte Buchgestalter und hervorragende Meister der Schrift, Jan Tschichold, hat durch seine zahlreichen Publikationen und Lehrbücher wie kaum ein zweiter für die gute Schriftform, das Schriftschreiben und für die Erneuerung und Sauberkeit der Typographie gearbeitet. Er beeinflusste Ende der zwanziger und anfangs der dreißiger Jahre Heerscharen von Typographen mit seiner Schriftkunst.

Ähnliches kann man auch von dem typographischen Schaffen Emil Jenzers in Burgdorf sagen, der die „Berner Handpresse“ gründete. Auch er ist ein hervorragender Schriftschreiber und zugleich mit Leib und Seele Typograph. Auch Max Caflisch ist ein hervorragender Schriftschreiber. Er zeichnete die Typen der „Kolumnia“, eine Schrift, die die Bauersche Gießerei herausbrachte.

Heute steht noch Adrian Frutiger, der in Paris als Schriftschöpfer tätig ist, im Vordergrund. Er entwarf die über zwanzig Schnitte der Groteskschriftserie „Univers“, die wohl als eine der besten durchgestalteten Schriften unserer Zeit gelten kann. Heute stoßen junge Kräfte in typographisches Neuland vor. Phantasie und Idee suchen den geistigen Inhalt zu bezwingen, der doch immer wieder der Ausgangspunkt all unseres Bemühens sein muss: Der Inhalt bestimmt die Form.