Buchstäbliches – V

Vielleicht stammt unser V vom semitischen „Waw“ ab, was Haken bedeutet. Die Namensähnlichkeit der beiden Buchstaben spricht für diese Vermutung, eindeutig ist die Herkunft allerdings nicht. Vielleicht erinnern Sie sich noch an die Vorstellung des F, wo das Waw bereits als Urahn dieses Zeichens auftauchte.

phönizisch (10.Jh.v.Chr.)

phönizisch (9.Jh.v.Chr.)

griechisch (8.Jh.v.Chr.)

arch. Griechisch (7.Jh.v.Chr.)

frühes Latein (6.-4.Jh.v.Chr.)

(west)griechisch (5.Jh.v.Chr.)

klassisches Griechisch

etruskisch

 

Cap. monum.

Cap. rustica

Cap. quadrata

röm. Kursive

Die Bezeichnung des Buchstabens zählt zu den bekannteren, da er ein Bestandteil des hebräischen Gottesnamens war: Jodh-He-Waw-He. Die semitischen Schriften gaben nur das Konsonantengerüst wieder, die Vokale kamen erst bei der Übersetzung in die lateinische Schrift hinzu. Deshalb sind die späteren Schreibweisen von „Jehova“ oder „Jahve“ nicht gesichert. In der lateinischen Transskription gab man das Waw sowohl durch das v als auch durch das w wieder (Jehowa).

Bei den frühen Griechen hieß der Buchstabe Digamma, weil er einem doppelten Gamma ähnelte. In der klassischen Periode rückte er dann als Ypsilon an das Ende des damaligen Alphabets – man sprach ihn als U oder Ü. Die Form blieb über Jahrhunderte hinweg ohne klare Festlegung: Mal erschien das Zeichen zwillenförmig wie das heute gebräuchliche Y, mal als senkrechter Stamm mit einem rechts oder links schräg angesetzten Ast. Aber bereits aus dem achten vorchristlichen Jahrhundert ließen sich Beispiele für eine Darstellung in der Art des uns vertrauten V nachweisen, wobei allerdings lange Zeit der rechte Schenkel länger blieb als der linke.

 

 

Unziale 1.Jh.n.Chr.

karolingische Minuskel

got. Buchschrift

Textur

Rotunda

Goudy Lomb.

Bastarda (15.Jh.)

Dürer Lombard.

 

Gutenberg-Textur

Caxton

Luthersche Fraktur

Schwabacher

Mit der Ausbreitung der griechischen Kultur übernahmen die Etrusker und wenig später auch die Römer beide Varianten. Noch im frühen Latein des sechsten bis vierten vorchristlichen Jahrhunderts existierte sowohl die Y- als auch die V-Form, die sich schließlich durchsetzte.

Wie bereits im Beitrag über das U angemerkt, richtete sich die Schreibweise des Buchstabens nach dem Schreibmaterial. In Hand- und Buchschriften, sofern sie nicht besonders offiziellen Charakter hatten, schrieb man das Zeichen unten mit einer Rundung, während bei in Stein gemeißelten Inschriften die zugespitzte Variante überwog. Konsonant und Vokal sollten aber noch über ein Jahrtausend lang dieselbe Gestalt behalten und problemlos nebeneinander bestehen (wie etwa in dem Wort VENVS).

Während die V-förmige Variante mit einem spitzen Winkel in der repräsentativen Capitalis Monumentalis zum Einsatz kam, zeigte sich bei der handschriftlichen Quadrata und Rustica eine zunächst angedeutete, später zunehmend ausgeprägtere Rundung. Auch die Handschriften des reinen Alltagsgebrauchs schliffen die Winkel immer mehr ab und schreiben den Buchstaben bald als nach oben offenen Bogen. In der spätantiken Unziale gab es das V schließlich nur noch als U-Form.

Mit der Entwicklung der Minuskelschriften setzte man Großbuchstaben nur noch an herausgehobenen Stellen, in Überschriften sowie an Kapitel- oder Absatzanfängern. Diese Schriften verwendeten weiterhin die gerundete Variante für U und V; auch in der karolingischen Minuskel begann eine Unterscheidung erst im elften Jahrhundert.

Renaissance-Kursive

Times Barock-Antiqua

Futura, serifenlose Antiqua

Reporter Two, Pinselschrift

Bis sich die Trennung zwischen dem Konsonanten und dem Vokal endgültig durchgesetzt hatte, vergingen noch viele Jahrhunderte. Lange Zeit blieb es dabei, den Großbuchstaben für beide Laute als V zu schreiben und den Kleinbuchstaben als u. In den gebrochenen Schriften des Mittelalters ließ sich vor allem das versale V oft schwer lesen – man verwechselte es gelegentlich mit einem D oder B.

Bereits in der letzten Folge kam zur Sprache, dass die uneinheitliche Verwendung von U und V bis ins 17. Jahrhundert bestehen blieb; noch immer behauptete sich die spitze Variante als Groß-, die runde als Kleinbuchstabe. Selbst nachdem bei den Gemeinden eine u-v-Trennung eingesetzt hatte, beschränkten sich viele Schriftentwerfer noch auf ein großes V für beide Laute. Dass auch hier schließlich ein eigenständiges U entstand, mag damit zusammenhängen, dass man Text nicht länger in Latein, sondern zunehmend in den Landessprachen druckte, die stärker nach dieser Differenzierung verlangten.